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TZI-Werkstatt am 15.10.2022 in Meißen

Gedanken im Rückblick von Peter Vogel

„Bis hierher und nicht weiter – oder geht’s ein bisschen freundlicher?“ - dieses Thema hatte sich Frank Richter für die TZI-Werkstatt am 15.10.22 gewählt. Eigene Grenzen erkennen und freundlich damit umgehen, das war das Ziel an diesem Tag. Ich finde diesen Aspekt interessant: Einmal nicht zu fragen, wie wir Grenzen erweitern, sondern wie wir annehmen können, was nicht zu ändern ist.

Offensichtlich hat das Thema sehr gelockt, nach über 30 Anmeldungen mussten wir Stop sagen. Frank wurde informiert, dass er mit einer großen Gruppe rechnen muss. Mit seinen vielfältigen Seminarerfahrungen hatte ich keine Sorge um ihn, aber ich war gespannt, wie sich die Dynamik der Großgruppe zeigt. In der Reflexion am Nachmittag würden wir unter Leitung von Claudia König den Prozess gemeinsam noch einmal anschauen. Dabei geht es nicht um richtig oder falsch, sondern um Fragen wie: Was haben die Themen, Strukturen und Methoden bewirkt, wohin lenkten sie den Prozess? Oder auch: welche Alternativen hätte es gegeben? Charles Buri aus der Schweiz, mein erster TZI-Lehrer, hatte dafür das weise Wort: „Man kann in der Arbeit mit Gruppen alles machen – und es hat alles Folgen!“

Ein paar Erfahrungen und Gedanken aus dieser TZI-Werkstatt gehen mir nach: Zuerst der Beginn. Zur TZI-Werkstatt wird vor dem offiziellen Start zum Stehkaffee eingeladen, einem wichtigen „Beginn vor dem Beginn“, für Gespräche und erste Kontakte. Pünktlich zum offiziellen Anfang saßen wir dann alle im Propsteisaal in einer bunt gemischten großen Runde. In der Mitte lag ein Knäuel von Kletterseilen, verschiedenfarbig, verschlungen und verknotet.

„Wer bin ich, wie bin ich hier – und wo bin ich heute schon an Grenzen geraten?“ So setzte Frank das erste Thema. Reihum sollte jeder zu Wort kommen. Nach kurzer Bedenkzeit bat Frank seine rechte Nachbarin zu beginnen. Mir gefiel, dass mit diesem Anfang schon in der ersten Runde das Thema ins Spiel kommt. Bei der knappen Zeit von 2 ½ Arbeitseinheiten ist das wichtig. Trotzdem läuteten bei mir die Alarmglocken: Solch ein Erfahrungsthema lockt zum Erzählen, wird breiter und persönlicher, sprengt eventuell bei 30 Personen alle Zeitplanung. - Das passierte in dieser Runde nicht, trotzdem wäre für mein Empfinden dieses Thema in Gruppen besser gewesen, es hätte im großen, unübersichtlichen Plenum Inseln des Vertrauens geschaffen. – Umso erstaunter war ich, dass in der Prozessreflexion manche betonten, dass sie gerade die große Anfangsrunde brauchten, um einen ersten Überblick über das Ganze zu bekommen. Wir ticken doch alle unterschiedlich, zumal in solch einer gemischten Gruppe!
Schließlich war interessant, dass am Nachmittag von einigen gefragt wurde, wofür von Anfang an die verknoteten Stricke auf dem Fußboden lagen. Viele hatten erwartet, dass damit irgendwann ein Thema, eine Aufgabe verbunden wird. Doch Frank hatte sie einfach als „Mitte“ in den Kreis gelegt, statt Blumen. Offensichtlich kann man vieles in die Mitte legen - „… und alles hat Folgen!“

Nicht jeden Schritt an diesem Tag will ich beschreiben. Aber eine eindrückliche Übung hatte sich Frank ausgedacht, um sich dem Thema „Grenzen“ zu nähern: „Geh und suche dir hier im Raum eine imaginäre Grenze, eine Grenze, die du dir vorstellst. Und spüre, wie das ist, vor solch einer Grenze zu stehen. Wie fühlt sich das an?“ – Seltsam, so eine imaginierte Grenze! Denn jetzt, nach vier Wochen, habe ich vergessen, was hinterher gesprochen wurde. Ich weiß aber heute noch ganz genau, wo meine Grenze verlief, wo ich stand, was ich dachte und wie es mir dabei erging. Das Gedächtnis des Körpers ist ein Wunder! Und Köpererfahrungen lagern sehr tief in uns!
Noch vor der Mittagspause hatte Frank einige Erfahrungen und Ergebnisse des Vormittags aus den Gruppen abgerufen, zusammengefasst und manches Interessante hinzugefügt. Gemerkt habe ich mir „die Kernkompetenz des Durchwurschtelns“ als eine wichtige Fähigkeit, mit den Dilemmata, den Überraschungen und Grenzen des Alltags freundlich umzugehen. Oder auch den „Respekt vor dem Vorläufigen“ – weil Grenzen erträglicher werden, wenn ich auch Provisorien akzeptiere.
Dann kam es nach der Mittagspause zu einer der berühmten(berüchtigten?) Störungen: Beim Thema, das Frank einführte, meldete sich Widerspruch: Dieses Thema wäre vor dem Mittag eigentlich schon abgeschlossen, jetzt brauchte es etwas anderes, keine neue Einzelarbeit… Frank behielt die Ruhe in der etwas chaotischen Situation. Im großen Plenum und auf Zuruf wurde nun geklärt, was jetzt „dran“ ist. Schließlich standen 5 Themen auf dem Flipchart und es fanden sich dazu Interessengruppen. Diese Gruppen arbeiteten dann intensiv und engagiert.

Mir ist daran deutlich, dass der Prozess einer Gruppe bei knapper Zeit schneller verläuft als etwa in einem Wochenend-Seminar. An diesem einen Tag war die Phase der Differenzierung, der unterschiedlichen Interessen in einer Gruppe schon am Mittag erreicht. Entsprechend gab es dann den Wunsch nach unterschiedlichen Themen und Arbeitsgruppen.

In der Reflexionsrunde wurde überlegt, wie solch eine Störung auch anders bearbeitet werden könnte als durch Zuruf im großen Plenum: Ruhe in das Durcheinander bringen, auch die Leisen hören, etwa durch ein Blitzlicht: „Wo bin ich jetzt im Thema und wie könnte es für mich weitergehen?“ – Am besten das Blitzlicht noch vor der Mittagspause. Dann hätte die Leitung gewusst, dass für viele jetzt ein neuer Anstoß, ein Methodenwechsel o.ä. hilfreich ist … Viele Ideen und Erfahrungen kamen bei der Prozessreflexion in den Blick, es war gemeinsames lebendiges Lernen. Danke, Claudia!

Ein Problem zeigte sich allerdings an diesem Tag, von der ersten Vorstellungsrunde an immer wieder: Im großen Kreis, im Plenum, ist das Sprechen und Verstehen für viele schwierig. Jemand sagte, dies sei seine heutige Grenzerfahrung, er fühle sich draußen, weil oft so leise gesprochen wird. - Ein Handmikrofon hätte vielleicht geholfen. Aber es geht nicht nur um Akustik. Grundsätzlich ist die Frage, welch Aufgabe und Funktion das Plenum in einer großen Gruppe hat.

TZI in großen Gruppen - Vielleicht wäre dies ein Thema einer künftigen TZI-Werkstatt?

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